Als Praxis-Team begrüßen wir Sie herzlich auf unserer Homepage.
Renate und Georg Tetmeyer – wir sind beide Heilpraktiker ausschließlich für Psychotherapie, und wir sind beide darüber hinaus Traumafachberater und Traumapädagogen. Wir besitzen zudem spezielle Qualifikationen in Traumatherapie und in der Ersthilfe bei Akuttrauma. Diese Qualifikationen haben wir zusätzlich zu unseren pädagogischen Hauptberufen als als staatlich anerkannte Erzieherin und staatlich anerkannte Sprachtherapeutin (Logopädin), bzw. als Gymnasiallehrer erworben.
Unsere Praxis für Traumatherapie (HPG), traumazentrierte Fachberatung und Traumapädagogik befindet sich im Stöffelbergweg 7, 72793 Pfullingen. Im Moment sind Therapie-Termine nur bei Renate Tetmeyer zu buchen.
2020
Zertifikat „Traumatherapeutisches Curriculum (Hauptmethode Brainspotting nach David Grand)“ der Akademie für integrative Traumatherapie (AiT) Berlin.
1. August 2019
Eröffnung der Praxis „Traumabewusste Identität“ als Heilpraktiker ausschließlich für Psychotherapie – Praxis für Traumatherapie, traumazentrierte Fachberatung und Traumapädagogik.
2019
Renate Tetmeyer: Staatliche Zulassung als Heilpraktikerin beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie durch das Gesundheitsamt Tübingen.
2018
Georg Tetmeyer: Staatliche Zulassung als Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie durch das Gesundheitsamt Tübingen 2018.
2018
Zertifikat „Traumatherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) Tübingen.
2016
Zertifikat „Traumapädagogik und Traumafachberatung“ des Instituts Berlin (DeGPT/BAG-TP).
2014
Zertifikat „Traumaaufstellung des Anliegens auf der Grundlage der mehr-generationalen Psychotraumatologie“ nach Prof. Ruppert, München; regelmäßige Teilnahme an Seminaren in Identitätsorientierter Psychotraumatheorie und -Therapie (IoPT) bei Prof. Dr. Franz Ruppert.
Unser fachliches Angebot
Im Sinne der Gewinnung einer traumabewussten Identität bieten wir Traumatherapie, traumazentrierte Fachberatung und Traumapädagogik an.
Bei der diagnosebezogenen Traumatherapie kommen Psychoedukation, Gesprächstherapie, verhaltenstherapeutische Elemente, kognitiv-behaviorale Methoden, EMDR, Brainspotting und Teile-Arbeit in Gestalt der IoPT zur Anwendung.
Im Mittelpunkt der traumazentrierten Fachberatung stehen dagegen Lebensfragen der Klienten. Zu ihrer Beantwortung nutzen wir neben der Psychoedukation ebenfalls die sog. Teile-Arbeit; das ist eine Stellvertretermethode, und zwar wenden wir sie an in der von dem Münchner Traumapsychologen Franz Ruppert erarbeiteten Variante der Identitätsorienierten Aufstellung des Anlieges (IoPT).
Sowohl die Traumatherapie als auch die traumazentrierte Fachberatung können einzeln oder in Seminargruppen in Anspruch genommen und mit traumapädagogischen Vorträgen zur Psychoedukation bzw. zur Erwachsenenbildung kombiniert werden.
Traumapädagogik im engeren Sinne umfasst zunächst ressourcenorientierte Methoden zur Alltagsbewältigung unter Belastungsbedingungen nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Traumapädagogische Alltagshilfen werden von uns stets vermittelt.
Wir wollen Ihnen gerne unseren Ansatz mit Hilfe eines Bildes und im Vergleich zur systemischen Therapie vorstellen:
An einem Mobile hängen sieben oder acht Fischle (schwäbisch für „Fische“). Im Prinzip hängen sie alle richtig, bloß die Trägerstäbe sind aus irgendwelchen Gründen aus dem Gleichgewicht geraten und hängen schief. Jetzt können die Fischle nicht mehr richtig schwimmen, d.h. das System funktioniert nicht mehr. –
Mit Hilfe der systemischen Beratung finden die Fischle gemeinsam miteinander heraus, wo das Problem liegt, justieren die Angelpunkte evtl. neu, d.h. sie verteilen z.B. die Aufgaben neu, gruppieren sich ggf. um, indem sie neue Teams bilden – und das System funktioniert wieder und kann wieder arbeiten.
An einem anderen Mobile hängen auch sieben oder acht Fischle; sie alle sind in der Balance und können schwimmen, d.h. zusammen arbeiten – bloß eines hängt verkehrt herum, mit dem Maul nach oben und dem Schwanz nach unten wie ein Mehlsack dran und lässt sich von den anderen mitziehen. Dieses Fischle hat beispielsweise – jetzt überzeichnen wir mal zur Veranschaulichung etwas – eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung.
Obwohl das System scheinbar im Gleichgewicht ist, stört dieses verkehrt hängende Fischle das Zusammenspiel aller ganz erheblich: Es erhebt ungerechtfertigte Vorwürfe über gerechtfertigte Anforderungen; während es selbst Vorgänge verschleppt oder „vergisst“, pocht es darauf, dass die anderen gefälligst pünktlich liefern; es spielt Machtspielchen, indem es Informationen zurückhält, wo es diese einbringen müsste; und es kann im Zweifel einfach mal richtig unverschämt werden, wenn es jemand wagen sollte, auch nur irgendwas von ihm zu verlangen, was es vermeintlich in „seiner Freiheit“ einschränkt (wobei es diese Freiheit kurzerhand mit Willkürfreiheit gleichsetzt).
Systemische Beratung hilft nicht, weil das Fischle – gleichgültig, ob man es höher anbringt (d.h. befördert), oder tiefer (also zurückstuft), oder umgruppiert (in ein anderes Team) – letztlich immer falsch herum hängt. Das ist seine Haltung.
Bis es schließlich zu uns als Traumafachberater kommt und fragt, warum es ständig kritisiert wird, obwohl doch alles läuft; und warum es eigentlich nicht auch so schön schwimmen kann wie die anderen Fischle, sondern bloß da hängt wie ein Sack.
Da erklären wir ihm, das es an dem inneren Mobile in ihm liegt, das man im Gegensatz zum äußeren Mobile (Familie, Team usw.) nicht sehen, sondern nur selbst spüren und fühlen kann. An diesem inneren Mobile hängen die eigenen psychischen Anteile. Und bei Menschen mit passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung gibt es erfahrungsgemäß Anteile, die in der Kindheit massive Übergriffe und Grenzverletzungen erlebt haben, gegen die offene Gegenwehr unmöglich war, weil solche Gegenwehr die Gefahr nur noch vergrößert hätte. Die Aggression musste und muss bis heute unterdrückt werden und darf sich nur indirekt manipulativ zeigen. Dieser unterdrückte Anteil, dessen Grenzen verletzt wurden und der seine Wut darüber nicht offen zeigen darf, hängt auch an dem inneren Mobile des Fischle und bringt es aus dem Gleichgewicht, was von außen gesehen zu einer Fehlhaltung führt und dadurch letztlich das ganze äußere System stört.
Nicht nur dem Fischle, sondern auch dem äußeren System kann geholfen werden, wenn das Fischle bereit ist zur systemischen Arbeit an seinem inneren System, d.h. an seinen zum Teil traumatisierten Anteilen. Dann kann es wieder ins innere Gleichgewicht kommen, richtig herum hängen und schwimmen, d.h. mitmachen und seine Aufgaben erledigen. Diese Traumatherapie dürfte ihm umso leichter fallen, je mehr es im Laufe der Zeit einen realistischeren Blick auf die anderen Fischle gewinnt, die nämlich durchaus ebenfalls recht häufig in den unmöglichsten Haltungen da hängen, ohne etwas von den dahinter stehenden Traumaerfahrungen wissen zu wollen.
Nach diesem bildhaften Vergleich möchten wir Ihnen im Folgenden nun in abstrakterer Form die Leitideen unserer identitätsorientierten traumapsychologischen und traumapädagogischen Arbeit vorstellen:
Symptome als Wegweiser
Neueste psychologische Erkenntnisse zeigen, dass sich viele körperliche und soziale Symptome unseres Alltagslebens auf traumatische Erfahrungen zurückführen lassen (Franz Ruppert und Harald Banzhaf, Mein Körper, mein Trauma, mein Ich, München: Kösel, 2017; Ellert Nijenhuis, Somatoforme Dissoziation, Paderborn: Junfermann, 2006). Diese Traumata sind meist nicht nur einmalige Ereignisse, sondern häufig genug die Folge langjährig anhaltender Traumasituationen in der Herkunftsfamilie. Wenn wir das überleben, dann nur um den Preis psychischer Spaltungen: Wir sind wie abgeschnitten von unseren Gefühlen, können unseren Leib nicht mehr richtig spüren, und verlieren den Zugang zu unseren Erinnerungen. Man sagt zwar, die Zeit heile alle Wunden – die in der Traumasituation überlebenswichtige Abspaltung psychischer Anteile reißt jedoch Wunden, die leider nicht wieder von selbst heilen – ganz im Gegenteil: Die psychischen Fragmentierungen vertiefen sich mit den Jahren eher und können als Ursache für chronische Krankheiten ebenso wie für chronischen Beziehungsstress und mannigfache soziale Probleme verstanden werden. Abgespalten von unseren eigenen unaushaltbaren Traumagefühlen leben wir dennoch eine Traumabiografie; statt Identität mit der eigenen Lebensgeschichte anzustreben, flüchten wir uns in Identifikationen und Zuschreibungen als unzureichenden Ersatz; statt unser tatsächliches Opfer-Sein in unserer individuellen Lebensgeschichte anzuerkennen, verstricken wir uns in leidvolle Täter-Opfer-Dynamiken im Außen, die im Krieg gegen die Natur und im Krieg der Menschheit gegen sich selbst ihren grausamen Höhepunkt finden.
Abgespaltene Erfahrungen als Entwicklungschancen
Die eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten ist ein Weg, aus der Traumabiografie auszusteigen und seine Identität traumabewusst wiederzugewinnen. Auf diesem Weg wollen wir Sie gleichermaßen einfühlsam und fachkundig begleiten. Die Integration bisher schmerzhafter Erfahrungen wirkt heilsam und ermöglicht eine neue Entwicklung.
Wenn Sie sich für die vielfältige gesellschaftliche Bedeutung der Traumaarbeit interessieren, lesen Sie bitte hier weiter zu folgenden Themen:
- Mutige Traumaarbeit als personal enterprise,
- Trauma-Screening als Produktivitätsfaktor in der Wirtschaft
- Enttraumatisierung als gesellschaftliche Aufgabe,
- Traumapädagogik als Gesellschaftspädagogik,
- Traumapädagogik als Schulpädagogik,
- traumabewusster Unterricht,
- Ich statt Ego – Bildung statt Ausbildung,
- moral injuries – moralisches Trauma (Beitrag folgt in Kürze,
- Der Ursprung aller Täter-/Opfer-Dynamiken,
- false memories – falsche Erinnerungen,
- Trauma als Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts.
Mutige Traumaarbeit als personal enterprise Warum immer noch nur wenige Menschen diesen Weg gehen wollen, ist gerade in einer Zeit ökonomisierten Denkens ziemlich unverständlich. Denn, ohne diesem Mainstream damit etwa noch Vorschub leisten zu wollen, so muss man doch als Tatsache anerkennen, dass traumatisch bedingte psychische Spaltung unglaublich viel Energie (d.h. „Kapital“) bindet, weil die Traumagefühle permanent unterdrückt werden müssen, um die Spaltung aufrechtzuerhalten. Der Psychotraumaforscher Robert Scaer spricht hier sogar von dissoziativen Kapseln („dissociative capsuls“, www.pdfs.semanticscholar.org., S. 6). Diese Energie nicht erschließen zu wollen, weil die Traumaarbeit vermeintlich so schambesetzt und schmerzhaft sei, stattdessen lieber die verbliebene Restenergie desto rücksichtsloser auszubeuten, ist eigentlich völlig paradox. Das ist in etwa so widersinnig, wie wenn man mit nur einem Düsentriebwerk fliegen wollte und dazu bereit wäre, es gefährlich zu überhitzen, statt ganz einfach das stillliegende zweite Triebwerk dazu zu schalten und ruhig weiterzukommen. Wer im Sinne eines personal development starke Kraftreserven in sich erschließen will, braucht keine professionalisierte Selbstausbeutung, sondern eine Auseinandersetzung mit seinen traumabedingt psychisch abgespaltenen Anteilen. Um es etwas humorvoll-ironisch in der Sprache unserer Zeit zu sagen: Mit Hilfe der Traumaarbeit kann man die Kapseln, die man bislang als psychische Fremdkörper mit sich herumträgt, durch Integration der in ihnen gefangenen Traumaerfahrung buchstäblich in Nuggets verwandeln! Oder, in der Sprache des digitalen Goldrauschs ausgedrückt: Hier lohnt es sich, nach psychischen Bitcoins zu schürfen. Wenn man das aber nicht macht, bleiben diese Trauma-Kapseln einfach nur psychische Thromben, die nicht nur den Zugang zu den gesunden Gefühlen, sondern auch zum gesunden Denken verstopfen.
Trauma-Screening als Produktivitätsfaktor in der Wirtschaft
Natürlich ist Trauma-Mining zunächst schmerzhaft, aber letztlich nicht nur für jeden Einzelnen, sondern sowohl betriebswirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich gesehen sehr interessant. Denn die in unserer Psyche abgespaltenen Trauma-Kapseln (die Trauma-Thromben) sind totes Kapital! Es ist kaum zu verstehen, dass große Konzerne dieses riesige Leistungspotential ihrer Belegschaft einfach brach liegen lassen, indem sie am Tabu festhalten, Trauma bloß ja nicht thematisieren zu wollen (Sollte es denn in diesem System tatsächlich etwas geben, das größer ist als die Gier nach Gold: die Furcht vor dem eigenen Trauma?). „Die Kosteneffektivität, die erzielt wird, wenn für Trauma-Heilungsseminare gesorgt wird, wiegt bei weitem die Kosten der Versuche auf, niedrige Arbeitsmoral und Verwirrung unter Teammitgliedern und die eventuelle Störung der Effektivität und Produktivität des Teams zu reparieren“, so David Berceli in seinem 2005 erschienenen Buch „Trauma Releasing Exercises“ (TRE), dt. Ausgabe bei niba-ev.de, S. 69.
Regelmäßiges Trauma-Screening sollte für ein Unternehmen so selbstverständlich sein wie ein routinemäßiger Anti-Viren-Scan für den Computer. Regelmäßiges Trauma-Screening halten wir besonders auf den Führungsebenen der Wirtschaft für unabdingbar. Nur so kann man sichergehen, dass diese mit weitreichenden Befugnissen versehenen herausgehobenen Mitarbeiter nicht traumabedingt betriebsschädliche Täter-Opfer-Dynamiken auslösen und andere darin verstricken. Keine sogenannte „Führungskraft“ (ein leider gebräuchlicher, aber unglücklicher Begriff, da er in Deutschland faschistische Konnotationen hat) sollte mit Verantwortung für andere betraut werden, bevor sie nicht Verantwortung für sich selbst übernommen und nachweislich ihre eigene Traumabiografie gründlich aufgearbeitet hat.
Enttraumatisierung als gesellschaftliche Aufgabe
Trauma ist kein Imageproblem – Trauma ist ein Massenphänomen. Längst weiß man, dass viel mehr Menschen durch katastrophale Beziehungen traumatisiert werden als durch Einzelereignisse. Gleichzeitig ist dies die Folge der geschichtlichen Ereignisse des 20. und 21. Jahrhunderts, durch welche ganze Völker nachhaltig traumatisiert wurden. Deshalb möchte man sich wünschen, dass zumindest unser Staat bald alles daransetzte, sich durch ein groß angelegtes Programm der gesellschaftlichen Enttraumatisierung von den Traumafolgen zweier Weltkriege und jahrzehntelanger politischer Spaltung in Ost und West endlich zu befreien. Das würde nicht nur unser Gesundheitswesen und unsere Justiz enorm entlasten, sondern diente letztlich dem Frieden. Ein staatliches Programm zur gesellschaftlichen Enttraumatisierung wäre eine soziale (!) Sprunginnovation, welche diesen Namen wirklich verdiente.
Traumapädagogik als Gesellschaftspädagogik
Grundlage dieser Idee ist die doppelte konzeptuelle Erweiterung des bislang ausschließlich psychologisch gebrauchten Begriffs „Traumapädagogik“: Wir verstehen darunter im erweiterten Sinne erstens eine neu zu entwickelnde traumabewusste Schulpädagogik, und zweitens eine Allgemeine Traumapädagogik als neu zu entwickelnder Gesellschaftspädagogik. Damit ist in Anspielung auf die Frankfurter Schule eine neue Kritische Theorie der Gesellschaft gemeint, welche über die spezifische Dynamik der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Kommunikation unter Traumabedingungen, d.h. unter Bedingungen der psychischen Spaltung, aufklärt. Dazu ist es nötig, den von Johan Galtung in den Siebzigerjahren eingeführten Begriff der strukturellen Gewalt unter traumapsychologischer Perspektive zu aktualisieren: Besonderes kritisch in den Blick zu nehmen ist nämlich die strukturell traumatisierende Gesellschaft selbst: „(…) nimmt die Gesellschaft in der Regel an, es liege in der Verantwortung der Traumatisierten selbst, die mobilisierenden Defensivstrategien des Kämpfens und Fliehens anzuwenden, um Angriffe auf sie abzuwehren. Doch indem die Gesellschaft den neuronalen Mechanismus ignoriert, der die dissoziative Shutdown-Reaktion vermittelt, reinszeniert sie das Trauma und impliziert gleichzeitig, die Genesung sei nur eine Frage der Motivation, wobei völlig außer Acht gelassen bleibt, dass ein Körper, der eine Bedrohung für Leib und Leben entdeckt hat, sich tiefgreifend verändert“ (Stephen Porges in: Vorwort zu Robert Scaer, Das Trauma-Spektrum, Lichtenau/Westf.: G.P. Probst, 2014, S. 13).
Das neue Traumabewusstsein
Das Ziel dieser Bemühungen ist die Schaffung eines allgemeinen Traumabewusstseins äquivalent zu dem heutigen Umweltbewusstsein. Auf dieser Grundlage können traumatisierende Strukturen erkannt und traumabasierte Konflikte entschärft werden (vgl. David Bercelis Vorschlag, gesellschaftliche Traumapädagogik für die Entschärfung des Nahost-Konflikts zu nutzen: Trauma Releasing Exercises (TRE), 2005, dt. Ausgabe bei niba-ev.de, Kap. 19, S. 72 ff.; und Franz Ruppert, Wer bin Ich in einer traumatisierten Gesellschaft?, Stuttgart: Klett-Cotta, 2018).
Außenwelt ist alles außerhalb unseres Körpers mit der Haut als Grenze, also etwa auch das Weltall. Der Begriff Umwelt dagegen meint denjenigen kleinen Teil der Außenwelt, mit dem wir biologisch stoffwechselnd in Beziehung stehen. Das dazugehörige Umweltbewusstsein ist verbunden mit dem ethischen Anspruch, die Umwelt letztlich um des Menschen willen vor Ausbeutung, Verschmutzung und Zerstörung zu schützen. Analog dazu soll das neue allgemeine Traumabewusstsein unsere psychische Innenwelt, die wir spürend, fühlend und denkend erleben, insbesondere vor menschengemachten Traumen schützen. Irgendwann wird es hoffentlich zu einer globalen Bewegung kommen, die lauthals fordert: „Wir lassen uns nicht länger traumatisieren!“.
Innerhalb der von uns geforderten traumabewussten Gesellschaftspädagogik könnten sich zahlreiche neue Teildisziplinen entwickeln: Ansätze zu einer speziellen Trauma-Ethik (vgl. Werner Theobald, Trauma und Ethik, in: Günther Seidler et al., Handbuch der Psychotraumatologie, Stuttgart: Klett-Cotta, 3. überarb. u. erw. Aufl. 2019, S. 727-741), und zu einer historischen Traumaforschung (vgl. Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648, Berlin: Rowohlt, 2017) finden sich bereits.
Traumapädagogik als Schulpädagogik
Der Lehrer-Beruf ist ein Beziehungs-Beruf, und wir Lehrer sollten gerade in Zeiten, in denen aus Kostengründen vermeintlich personalextensive Unterrichtsformen favorisiert werden, nicht müde werden, dies zu betonen. Die Tatsache, dass pädagogische Arbeit bedeutet, Informationen nur auf der Grundlage gelingender pädagogischer Beziehungen erfolgreich vermitteln zu können, stellt die besondere Herausforderung unseres Berufes dar.
Insofern lähmt das heute gesellschaftlich immer noch aufrechterhaltene Trauma-Tabu besonders die Schule in ihrer Entwicklung (vgl. meine Vorträge unten zu diesem Thema). Gerade die Schule bedarf dringend der Selbstaufklärung über traumabedingte und letztlich krankmachende Kommunikationsdynamiken im Unterricht, im Kollegium oder in der Verwaltung, um gesunde und förderliche Bildungsprozesse anstoßen zu können. Das Trauma-Tabu, dass sowohl Schüler als auch Lehrer, sowohl Vorgesetzte als auch Politiker traumatisiert sein können, muss endlich fallen! Schließlich darf bei der kritischen Frage, inwieweit die Gesellschaft selbst uns traumatisiert (Ruppert 2018), auch das schulische System nicht ausgeklammert bleiben. Hermann Hesses Romane „Unterm Rad“ und „Der Steppenwolf“ führen uns eindrücklich die tragischen Spätfolgen schulischer Traumatisierungen in der Wilhelminischen Ära vor Augen. Thematisiert Hesse in diesen Romanen emotionalen Missbrauch und direkte körperliche Gewalt in der Erziehung, so müsste man sich heute fragen, was es mit Kindern macht, wenn die strukturelle Gewalt ökonomistischer und technizistischer Prämissen in der Schule allgegenwärtig wird. Beispielsweise ist noch lange nicht erkannt, welche Traumafolgen es für Kinder hat, wenn sie doppelter Virtualität ausgesetzt sind: der natürlichen biologischen ihres Gehirns – und innerhalb dieser biologischen Virtualität gleichzeitig der technisch-künstlichen Virtualität durch exzessiven Medienkonsum.
Ein pädagogisches Trauma-Screening wäre gleichermaßen Ausdruck von Verantwortung für unsere Schüler, wie für uns selbst als Lehrer, indem wir es für unsere Psycho-Hygiene nutzen, um auf eine gesunde Art beziehungsfähig zu bleiben.
Das systemische Trauma-Screening ist ein arbeitspolitisches Erfordernis. Aus dem pädagogischen und dem systemischen Trauma-Screening zusammen lässt sich die spezifische Belastung, die der Lehrerberuf als Beziehungsberuf mit sich bringt, objektiv ermessen. Das kann Grundlage für arbeitspolitische Forderungen sein.
Traumabewusster Unterricht
Nicht zuletzt bedürfen auch die Bildungsinhalte der traumapädagogischen Reflexion (Pionierarbeit leisten hier: Ulrich Baer, Traumadeutung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, und Hannes Fricke, Das hört nicht auf. Trauma, Literatur und Empathie, Göttingen: Wallstein 2004; vgl. auch Helmut Grugger, Trauma – Literatur – Moderne, Wiesbaden: J.B. Metzler 2018). Auch der Münchner Traumapsychologe Franz Ruppert zeigt am Beispiel eines Schulklassikers, der Ballade „Erlkönig“ (1782) von Johann Wolfgang Goethe, eindrücklich die Bedeutung einer traumabewussten Fachdidaktik. Dieses Gedicht kann man als Darstellung lesen, wie der Sohn aus seiner kindlichen Perspektive die sexuelle Gewalt seines psychisch gespaltenen Vaters erlebt: Der eine Anteil des Vaters täuscht seinen Knaben mit dem scheinbaren Angebot von Bindung über dessen realistische Angstgefühle hinweg („Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm“) – und agiert dadurch als Komplize des anderen Anteils, damit der sich solange an dem Kind sexuell vergehen kann („Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt“). Wo wir als Lehrer ignorant darüber hinwegsehen, dass wir unter Umständen Kinder mit genau solchen Erfahrungen im Unterricht vor uns haben, da fügen wir ihnen mit der verharmlosenden Interpretation des Gedichts als ‚Kinderphantasie‘ erneut Schmerzen zu (vgl. Franz Ruppert, Liebe Lust und Trauma, München: Kösel, 2019, S. 163 ff.; vgl. auch meine eigenen Hinweise zur Schullektüre auf dieser Homepage). Noch der renommierte Traumaforscher Gottfried Fischer, der das berühmte Gedicht ebenfalls zur Illustration heranzieht, zeigt sich blind für das wirkliche Leiden des Opfers, und tut damit genau das selbst, was er dem Vater vorwirft: Um dem sog. „Erlkönig-Effekt“ zu entgehen, welcher darin bestehe, dass der Vater „es vermeidet, sich in die Angstwelt des Jungen hineinzuversetzen“, rät Fischer gutmeinend dazu, „auch auf ‚irrationale‘ Ängste und Fantasien zu hören“ (Gottfried Fischer, Neue Wege aus dem Trauma, Ostfildern: Patmos, 11. Aufl. 2019, S. 76). Das Täterschutz-Programm, welches auf prägende patriarchale gesellschaftliche und religiöse Modelle zurückgeht, sitzt offenbar noch immer genauso tief in den Köpfen wie die überholte Vorstellung, die Person eines Menschen, hier z.B. des Vaters, sei eine Einheit.
Ich statt Ego – Bildung statt Ausbildung
Es ist an der Zeit, dass sich die Schule löst vom Paradigma einer weitgehend an den Interessen der Großinvestoren orientierten Wirtschaft. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen die reichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens (56 Prozent), die ärmere Hälfte hat dagegen nur einen Anteil von 1,3 Prozent (DIW Wochenbericht 40/2019, S. 735-745). Der Einfluss jener kleinen, aber mächtigen Interessengruppe auf die Schulpolitik ist unübersehbar. Die Einrichtung von Privatschulen hat das Ziel, den Steuerzahlungsdruck zu vermindern. Die Durchsetzung („Implementierung“) personalextensiver, dafür aber technikintensiver Unterrichtsformen dient demselben Zweck und soll darüber hinaus die Schule als Markt erschließen. Das zum Gesellschafts-Paradigma avancierte Franchising-Modell wird mittelfristig den pädagogischen, personalintensiven und damit kostenintensiven Anteil am Schulunterricht auf ein Minimum zu reduzieren versuchen: Die Schule wird zum Marktplatz für Lernsoftware; aus Lerninhalten werden Produkte, aus Schülern werden Kunden; Bildung wird auf Information reduziert; und der Begriff ‚Unterricht‘, der noch mit pädagogischer Beziehung zu tun hatte, wird zum Datendownload umdefiniert.
Das Herauskürzen der Beziehung aus der Pädagogik hat jedoch für unsere Kinder fatale – um nicht zu sagen systemisch traumatisierende – Folgen. Denn Kinder sind entwicklungsbedingt existentiell auf Bindung und Beziehung angewiesen. Das zeigt aktuell der auf der Berlinale 2019 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Film „Systemsprenger“ der Regisseurin Nora Fingscheidt, mit Helena Zengel in der Hauptrolle als Benni. Unseren Schülern aus Kostengründen Beziehung zu verweigern, gefährdet ihre psychische Gesundheit.
Die Schule muss sich deshalb dringend wieder befreien von ihrer neoliberalen Überformung als Produktionsstätte für industrie- und wirtschaftskompatible, marktkonforme Arbeitnehmer, denen man einreden kann, sie seien ihre eigenen Unternehmer. Das Paradigma der Industrialisierung überträgt sich zunehmend auch auf die Schule: Es beginnt mit der Quantifizierung aller schulischen Vorgänge, um deren Ökonomisierung betreiben zu können, dann folgt die Technisierung, und der Tiefpunkt dieser kulturellen Antiklimax wird erreicht mit der Kommerzialisierung. Was in der Wirtschaft Standard ist, erweist sich aus traumapsychologischen Gründen nirgends als so schädlich wie hier. Die Schule braucht kein Controlling in Form digitalisierter Überwachung, als wäre Unterricht ein industrieanaloger Produktionsprozess. Schule braucht vielmehr eine traumabewusst professionalisierte Beziehungsgestaltung als Grundlage pädagogisch vermittelter Bildung. Verantwortung statt Controlling ist hier gefragt. Die traumaignorante Identifikationspädagogik, welche dem Menschenbild der gegenwärtigen Wirtschaftsideologie folgend, das interessegeleitete Ego in den Mittelpunkt stellt, sollte schon aus gesundheitlichen Gründen, aber letztlich im Interesse des Friedens abgelöst werden durch eine traumabewusste identitätsorientierte Pädagogik, in deren Mittelpunkt das bindungs- und beziehungsfähige Ich steht. Anstelle der Zweckorientierung muss wieder die Bildungsorientierung in den Vordergrund rücken (vgl. dazu den Vortrag von Prof. Jürgen Kegelmann in SWR2 Wissen/Aula: „Musterschüler – Was Schulen und Hochschulen heute leisten müssen“, Sendung: Sonntag, 8. September 2019, 8.30 Uhr).
Der Ursprung aller Täter-/Opfer-Dynamiken Trauma hat mit der Erfahrung von Ausgeliefertsein und extremer Ohnmacht gegenüber Gewalt zu tun. Naturgewalten katastrophalen Ausmaßes und wilde Tiere bringen Menschen auf der ganzen Welt in solche scheinbar ausweglosen Situationen, in welchen sie nur durch Erstarrung oder Lähmung eine minimale Rest-Überlebenschance haben, wenn Kampf oder Flucht nicht mehr möglich sind. Viel schlimmer noch wirken sogenannte manmade – also durch Menschen verursachte – Traumen, vor allem, wenn dies absichtlich geschieht wie etwa im Krieg, bei Folter oder Vergewaltigung. Insbesondere die menschengemachten Traumen wecken Rachephantasien des Opfers, oder zumindest den unumstößlichen Vorsatz, sich nie wieder zum Opfer machen zu lassen. Und dazu ist nicht selten jedes Mittel recht – was das unter der Tat nachhaltig leidende Opfer natürlich im Handumdrehen selbst zum Täter werden lässt. Traurig genug, dass es dabei meist nicht den ursprünglichen Täter, sondern am Ursprungskonflikt Unbeteiligte und Unschuldige trifft -, welche nun wiederum die gleiche Ohnmachtserfahrung machen und folglich ebenfalls zu Tätern werden – woraus sich eine endlose Spirale von Täter-/Opfer-Dynamiken ergibt. Doch wer war denn nun jener allererste Bösewicht, welcher mit seiner ursprünglich bösen Tat die Gewalt-Lawine der ganzen Menschheitsgeschichte ausgelöst hat? – Es war ganz einfach der blinde Zufall! Wer durch Naturgewalten, wilde Tiere oder Krankheit unvermittelt schwer traumatisiert wurde, und sich danach mit Menschen vergleichen musste, welche der blinde Zufall nicht getroffen hatte, die, im Gegenteil, scheinbar unversehrt und glücklich weiter lebten, während er selbst völlig unschuldig leiden musste, der mochte über diese Ungerechtigkeit des Lebens wohl wütend werden und versucht sein, das „gerechte“ Gleichgewicht durch eigene Täterschaft gegenüber dem von der Natur Verschonten wiederherzustellen. – Und mit dieser zunächst moralischen Empörung und dem daraus resultierenden Gefühl der Eifersucht nimmt die o.g. Täter-/Opfer-Spirale ihren traurigen Anfang. Eine Antwort auf die Theodizee-Frage, warum Gott das Böse zulasse, lautet also, weil er zulässt, dass neben dem menschlichen Willen auch der blinde und damit ungerechte Zufall regiert.- Dieses Wissen ist natürlich uralt, nur eben unter traumapsychologischer Perspektive neu formuliert; schon in der alttestamentlichen Geschichte von Kain und Abel (1.Mose 4) ist es enthalten: Während Abels Opferrauch ruhig zum Himmel steigen kann, will es der Zufall, dass Kains Opferrauch von einer Windböe erfasst wird und zerstiebt. Diesen Zufall bezieht Kain auf sich selbst, indem er denkt, sein gewiss keineswegs geringeres Opfer als dasjenige Abels sei Jahwe nicht gefällig. Über diese vom Zufall herbeigeführte Ungerechtigkeit ist er moralisch entrüstet und gleichzeitig so gekränkt, dass er aus Wut und Eifersucht seinen Bruder Abel erschlägt. Er versucht mithin paradoxerweise die erste Ungerechtigkeit durch eine zweite Ungerechtigkeit auszugleichen – und dadurch wieder „Gerechtigkeit“ herzustellen. Um nicht mehr Opfer zu sein, wird er Täter. In Wahrheit bleibt er jedoch Opfer des Zufalls und traumatisiert sich durch die Tat an seinem Bruder nur selbst. Der Zufall kennt keine Gerechtigkeit, er ist in diesem Sinne vormoralisch, er wird aber von einem moralischen Wesen, dem Menschen, erfahren bzw. erlitten, das gar nicht anders kann, als seine Welt unter der Kategorie Gerechtigkeit zu beurteilen. Weil der blinde Zufall mit dem Gerechtigkeitsempfinden des Menschen kollidiert, nimmt die Täter-/Opfer-Tragödie ihren Anfang.
false memories – falsche Erinnerungen
Traumafolgestörungen werden u.a. durch schwere Übergriffe, Bedrohungen oder Verbrechen verursacht. Es wundert deshalb nicht, dass Klienten im Zuge der traumapsychologischen Aufarbeitung auch das Bestreben zeigen, die Täter juristisch zu belangen. Da vor Gericht jedoch in erster Linie Fakten zählen, stehen sie oft vor dem Problem, vage Erinnerungen präzisieren und am Ende noch beweisen zu müssen. Das Gericht erkennt bloße Gefühle als alleiniges Beweismittel nicht an (vgl. Kirsten Stang und Ulrich Sachsse, Trauma und Justiz, Stuttgart: Schattauer, 2.Aufl. 2014). Nun ist es so, dass der Selbstschutz durch Dissoziation in der Traumasituation gerade darin besteht, den Neocortex mit der bewussten Ich-Funktion abzuschalten und, um das Überleben zu sichern, das Gehirn sozusagen auf Autopilot zu stellen, indem der Hirnstamm und das Limbische System die Steuerung des Verhaltens alleine übernehmen. Da die Rückbindung des Verhaltens zum Ich fehlt, besteht für die Dauer der Traumasituation häufig Amnesie, was auch gilt, wenn sie, etwa bei Komplextrauma, über Jahre anhält. Von jemand zu verlangen, dass er gerichtsverwertbar sein Trauma erinnern soll, ist also nicht nur emotional, sondern auch schon gehirnorganisch meist eine glatte Überforderung. Erschwert wird die Erinnerung überdies, wenn der Traumatisierte noch in einer faktischen oder auch nur emotionalen Abhängigkeit von den Tätern steht, denn dann muss er, um sich zu schützen, selbst seine Erinnerungen abwehren nach dem Motto: „Was nicht sein darf, nicht sein kann!“. Grundsätzlich muss man wissen, dass jede Erinnerung das Erinnerte emotional und auch inhaltlich verändert. Erinnerung ist ein Akt der Kultur, mit dem sich jede Generation erneut selbst ihre Vergangenheit aneignen muss, indem sie sie für sich rekonstruiert. Erinnerung ist (Re-) Konstruktion von Vergangenheit, d.h. Erinnerung ist unausweichlich subjektiv (vgl. Julia Shaw, Das trügerische Gedächtnis, München: Heyne, 2018).
Im traumatherapeutischen Prozess nutzen wir die Subjektivität der Erinnerung, indem wir sie möglichst plastisch mit Resten von Sinneseindrücken, Gefühlen und Gedanken aus der Traumasituation verbinden. Der Patient „weiß“ dann für sich, dass es wahr ist, weil er es mit der Gesamtheit seiner Gefühle, Gedanken und Empfindungen bestätigen kann. Er verifiziert das Trauma nicht im Außen, sondern er validiert es im Innern und gelangt auf diese Weise zu einer heilsamen Integration. Anders ausgedrückt: Die Erinnerung ist für ihn nicht „richtig“ im Gegensatz zu „falsch“ im juristischen Sinne, sondern „wahr“ im Gegensatz zu „gelogen“ im ethischen Sinne. –
Die false-memory-Debatte kam in den 90er Jahren in den USA auf, als des sexuellen Übergriffs von ihren Kindern gerichtlich beschuldigte Väter aufbegehrten. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich falsche Erinnerungen durch entsprechende Suggestionstechniken auch im therapeutischen Setting induzieren lassen, von denen der Klient anschließend felsenfest überzeugt ist, und die er in allen Details erinnert. Das gilt natürlich prinzipiell für jede Erinnerung, die vor Gericht verhandelt wird; nicht zuletzt kann auch die Gerichtsverhandlung selbst suggestiv wirken und falsche Erinnerungen induzieren.
Mit diesem Problem müssen wir leben und natürlich verantwortlich umgehen, solange wir überhaupt biografisch, also ursachenorientiert und nicht nur symptomorientiert arbeiten wollen. Inwiefern das implizite Gedächtnis über das biographisch-prozedurale Gedächtnis hinausreicht; ob, und wenn ja, welche Art von Erinnerung an frühe oder sogar vorgeburtliche Lebensphasen es geben kann, sind weitere schwierige Fragen in diesem Zusammenhang. Viele Forscher leugnen diese Möglichkeit komplett und schließen daraus, dass es Traumatisierungen vor dem dritten Lebensjahr und der Ausbildung des Hippocampus demzufolge nicht geben kann.
Unsere Erfahrung in der Traumaarbeit mit Hilfe der identitätsorientierten Stellvertretermethode ist allerdings eine ganz andere: Hier zeigen sich oftmals frühe Traumen, und die Klienten fühlen sich erleichtert, wenn sie diese endlich aufarbeiten können.
Das Ganze steht und fällt natürlich damit, was man unter „Erinnerung“ versteht. Wenn man darunter nur das sprachlich explizite Gedächtnis versteht, dann kann man natürlich die Existenz früher, vorsprachlicher Traumen leugnen. Das ist ähnlich wie bei der ICD-10, die nur Singulärtraumen kennt. Längerfristige postraumatische Belastungen müssen als „andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung“ (F62.0) diagnostiziert werden. Hier gibt ebenfalls die Klassifikation die Realität vor, nicht umgekehrt, wie es eigentlich sein sollte. Erst die kommende ICD-11 kennt die „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ und passt sich damit der Realität an.
Seit Stephen Hawking (1942-2018) (unser ehemaliger Nachbar 1989 in der Grange Road in Cambridge) 1975 sein Postulat veröffentlichte, weiß die Astrophysik, dass selbst aus schwarzen Löchern, denen nicht einmal Licht entkommt, Informationen nach außen dringen durch die sog. Hawking-Strahlung. Dass auch biologische Zellen über ihren Stoffwechsel Informationen austauschen, scheint uns selbstverständlich. Unser ganzer Organismus ist insofern eine einzige Datenbörse – und das ganz unabhängig von dem Vorhandensein neuronaler Zellen. Dass es so etwas wie ein Zellgedächtnis oder besser Leibgedächtnis gibt, zeigt neuerdings die Epigenetik. Der Begriff Epigenetik definiert alle meiotisch und mitotisch vererbbaren Veränderungen in der Genexpression, die nicht in der DNA-Sequenz selbst codiert sind. Über Myelinisierungen und Demyelinisierungen werden einzelne Gene je nach (u.U. traumatischer) Erfahrung an-und abgeschaltet. Wenn wir der Tatsache, dass es dieses Leibgedächtnis gibt, gerecht werden wollen, müssen wir den traditionellen Begriff der Erinnerung erweitern oder einen neuen Überbegriff finden um zu verdeutlichen, dass Erinnerung nur einen Aspekt davon darstellt. Und wir müssen anerkennen, dass wir spürend Zugang zu diesem Leibgedächtnis finden können, etwa in der Traumaarbeit.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass man sich durch die false-memory-Debatte keinesfalls davon abhalten lassen sollte, seine Symptome und seine Gefühle zu befragen, welche Traumen die Ursache dafür sind. Wollte man aus der prinzipiellen Fallibilität der Erinnerung schließen, dass deshalb auch prinzipiell alle Erinnerungen falsch sind, dann wäre das eine unzulässige selektive Verallgemeinerung. Unser Zusammenleben könnte gar nicht funktionieren, wenn wir nicht in der Regel von stimmigen Erinnerungen ausgingen. Dennoch sollte man sich reiflich überlegen, ob man genügend weitere Beweismittel in der Hand hat, um aus therapeutisch erarbeiteten Erinnerungen irgendwelche juristischen Ansprüche ableiten zu können.
Trauma als Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts
Trauma ist kein Randthema mehr, welches anscheinend auch nur Randgruppen, wie etwa politische Flüchtlinge betrifft; vielmehr betrifft Trauma beinahe jeden direkt oder indirekt. Trauma ist der Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts! Unser Plädoyer gilt daher einer post-neoliberalen traumabewussten Pädagogik. So laden wir besonders Pädagogen und pädagogische Einrichtungen zur Zusammenarbeit ein.
Aktuelles:
Vorträge zum Thema Allgemeine Traumapädagogik:
Trauma und Schule,
Die Täter-Opfer-Dynamik als Krankheitsfaktor,
Plädoyer für eine post-neoliberale traumabewusste Pädagogik.